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269 - Ungeschützter Datenverkehr

11.10.2025

Ungeschützter Datenverkehr

In Österreich sorgt derzeit die Einführung eines sogenannten „Bundestrojaners“ für heftige Diskussionen über Datenschutz, Überwachung und staatliche Eingriffsbefugnisse. Im Kern geht es darum, dass Sicherheitsbehörden künftig auch verschlüsselte Kommunikation über Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Signal überwachen dürfen – bisher war dies technisch kaum möglich. Während die Überwachung von SMS oder Telefonaten schon lange gesetzlich geregelt ist, stellen moderne Chat-Apps durch ihre Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eine große Hürde dar: Nur die Kommunikationspartner selbst können Nachrichten lesen, nicht einmal die Betreiber der Dienste. Um diese Verschlüsselung zu umgehen, soll nun Schadsoftware eingesetzt werden, die Zugriff auf das gesamte Endgerät der Verdächtigen erlaubt – ein tiefgreifender Eingriff in die digitale Privatsphäre.

Technische Umsetzung und Risiken des Bundestrojaners

Der sogenannte Bundestrojaner ist kein in Österreich entwickeltes Produkt, sondern eine von externen, meist geheim agierenden Firmen bereitgestellte Spionagesoftware. Diese Unternehmen sind darauf spezialisiert, Sicherheitslücken in Betriebssystemen oder Apps auszunutzen, um sich unbemerkt Zugriff auf Geräte zu verschaffen. Während große Konzerne wie Apple oder Google bestrebt sind, solche Lücken schnell zu schließen, bezahlt der Staat Akteure dafür, sie offenzuhalten. Damit gefährdet er die IT-Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger, da dieselben Schwachstellen auch von kriminellen Hackern oder fremden Geheimdiensten ausgenutzt werden könnten. Kritiker sehen darin eine Verletzung der staatlichen Schutzpflicht, denn statt die digitale Infrastruktur sicherer zu machen, wird sie bewusst geschwächt.

Zwar sieht das Gesetz vor, dass der Zugriff nur in Ausnahmefällen und unter richterlicher Kontrolle erfolgen darf, etwa bei Terrorverdacht. Doch die technische Realität ist komplexer: Wenn eine externe Firma die Überwachungssoftware liefert, bleibt unklar, was sie mit den gewonnenen Daten macht oder wem sie ihre Dienste sonst noch anbietet. Damit droht nicht nur ein massiver Eingriff in Grundrechte, sondern auch ein Verlust der Beweissicherheit. Wer garantiert, dass auf einem kompromittierten Gerät keine Daten verändert oder gefälscht werden? In einem Strafverfahren könnten manipulierte Dateien dazu führen, dass Beweise unbrauchbar werden.

Sicherheitspolitische Argumente und ihre Grenzen

Als Begründung für den Bundestrojaner wird häufig die Terrorismusbekämpfung genannt. So soll ein vereitelter Anschlagsplan auf das Taylor-Swift-Konzert als Beleg dienen, dass solche Maßnahmen Leben retten können. Doch dieser Fall wurde durch Hinweise der CIA aufgedeckt, nicht durch österreichische Überwachung. Ob ein Trojaner tatsächlich präventiv helfen würde, bleibt fraglich. Stattdessen wird deutlich, dass es vor allem an Ressourcen und Know-how fehlt, um extremistische Netzwerke in sozialen Medien effektiv zu beobachten. Die technische Aufrüstung könnte somit eher symbolischen Charakter haben, ohne echte Sicherheit zu schaffen.

Internationale Beispiele für Überwachungsmissbrauch

Ein Blick in andere Länder zeigt, wie gefährlich die missbräuchliche Nutzung solcher Technologien ist. In Polen setzte die rechtspopulistische PiS-Regierung 2019 die Spionagesoftware Pegasus gegen politische Gegner ein. Überwachungsergebnisse wurden im Wahlkampf genutzt, um Oppositionelle zu diskreditieren. In Griechenland wurde 2022 bekannt, dass ein Journalist und ein Oppositionspolitiker mit ähnlicher Software abgehört wurden – ein Skandal, der zwar den Geheimdienstchef kostete, aber kaum rechtliche Folgen hatte. Diese Fälle belegen, dass Überwachungsinstrumente nicht nur in autoritären Regimen missbraucht werden, sondern auch in europäischen Demokratien.

In Österreich birgt die enge Verflechtung zwischen Politik und internationaler Sicherheitsindustrie zusätzliche Risiken. Der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz gründete gemeinsam mit Shalev Hulio, dem Ex-Chef der israelischen NSO Group – Herstellerin der Pegasus-Software – ein neues Cybersecurity-Unternehmen namens „Dream“, das auch in Wien tätig ist. Angesichts dieser Verbindungen erscheint es durchaus möglich, dass bei der Auswahl entsprechender Software politische Netzwerke eine Rolle spielen. Kritiker warnen, dass Österreich so in ein globales System kommerzieller Überwachung verstrickt werden könnte.

Die Rolle der USA, Israels und der EU

International dominieren israelische und US-amerikanische Firmen den Markt für Überwachungstechnologie. Viele Diktaturen, etwa in Saudi-Arabien oder Aserbaidschan, nutzen israelische Spyware, um Dissidenten zu überwachen, aber auch Indien oder Ungarn zählen zu den Kunden. Die Vereinigten Staaten selbst investieren massiv in solche Technologien: Behörden wie ICE oder Homeland Security arbeiten mit Unternehmen wie Paragon oder Palantir zusammen, um Daten zu analysieren und Überwachung zu automatisieren. Ziel sind häufig Migrantinnen, Aktivisten oder Studierende, die sich an regierungskritischen Protesten beteiligen. Dass diese Kooperationen mittlerweile offen kommuniziert werden, zeigt, wie stark sich Überwachung in westlichen Demokratien normalisiert hat.

Die Europäische Union steht dieser Entwicklung ambivalent gegenüber. Der Europäische Gerichtshof erklärte jüngst den Datenaustausch zwischen der EU und den USA für rechtens, obwohl Datenschutzaktivisten wie Max Schrems weiterhin warnen, dass amerikanische Geheimdienste zu weitreichende Zugriffsrechte hätten. Zwar gibt es nun formale Beschwerdemöglichkeiten für Betroffene, doch bleibt unklar, ob diese tatsächlich wirksam sind. Frühere Datenschutzabkommen zwischen EU und USA scheiterten bereits mehrfach, weil zugesicherte Schutzmaßnahmen nicht eingehalten wurden. Politische Abhängigkeiten und wirtschaftliche Interessen führen dazu, dass Europa bei digitalen Grundrechten immer wieder Kompromisse eingeht.

Freiheit, Kontrolle und die Zukunft des Datenschutzes

Die Geschichte der Überwachung lehrt, dass einmal eingeführte Kontrollinstrumente selten wieder abgeschafft werden. Staaten, ob demokratisch oder autoritär, neigen dazu, ihre Machtmittel auszubauen, sobald sie verfügbar sind. Das gilt nicht nur für kapitalistische Demokratien, sondern auch für sozialistische Systeme der Vergangenheit: Die Überwachungsapparate der Sowjetunion und der DDR haben tiefes Misstrauen zwischen Staat und Bevölkerung gesät. Massenüberwachung wird oft mit dem Argument der Sicherheit gerechtfertigt, doch sie richtet sich letztlich gegen die Zivilgesellschaft selbst. Schon die bloße Möglichkeit, beobachtet zu werden, reicht aus, um politisches Engagement und Protest zu schwächen.

Österreich war bislang zurückhaltend, was groß angelegte Überwachung betrifft. Doch politische Instabilität und das Erstarken rechter Kräfte könnten das ändern. Wenn rechte Parteien weiter an Macht gewinnen, ist zu befürchten, dass neue Überwachungsgesetze auch gegen politische Gegner eingesetzt werden. Der Bundestrojaner schafft dafür die technische Grundlage.

Die Debatte um den österreichischen Bundestrojaner ist damit mehr als ein Streit um ein Sicherheitsgesetz – sie ist ein Spiegelbild der globalen Auseinandersetzung zwischen Freiheit und Kontrolle, zwischen digitaler Selbstbestimmung und staatlicher Macht.

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