Künstliche Intelligenz, Kapitalismus und die Zukunft der Arbeit
Künstliche Intelligenz (KI) ist kein neues Phänomen. Bereits seit den 1940er Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler:innen mit der Idee, Maschinen „intelligent“ zu machen. Doch erst seit der Veröffentlichung großer Sprachmodelle wie ChatGPT durch OpenAI ist das Thema allgegenwärtig. Innerhalb kürzester Zeit wurde KI Teil unseres Alltags – und gleichzeitig zum Symbol für eine unsichere Zukunft. Denn neben der Faszination stehen auch Ängste im Raum: Wird KI uns alle arbeitslos machen? Was passiert mit menschlicher Arbeit, wenn Maschinen scheinbar alles besser können?
Automatisierung im Kapitalismus
Automatisierung spielt im Kapitalismus seit jeher eine zentrale Rolle – vor allem im Konkurrenzkampf zwischen Unternehmen. Wer als erstes neue Technologien einsetzt, kann Kosten senken, schneller produzieren und mehr Gewinn erzielen. Der Antrieb zur Innovation liegt also nicht im Wunsch nach gesellschaftlichem Fortschritt, sondern in der Profitmaximierung. Diese Logik durchzieht alle Industrialisierungswellen – von der Dampfmaschine über das Fließband bis hin zur digitalen KI.
Auch heute ist dieser Mechanismus wirksam: Unternehmen investieren in KI, weil sie hoffen, damit menschliche Arbeit zu ersetzen oder zu „optimieren“. Höhere Produktivität bedeutet unter kapitalistischen Bedingungen meist: intensivere Ausbeutung. Maschinen werden nicht eingesetzt, um den Menschen zu entlasten – sondern um ihn effizienter zu machen.
Arbeitslosigkeit durch KI?
Die Angst, dass KI massenhaft Arbeitsplätze vernichtet, ist weit verbreitet. Doch die Realität ist differenzierter: In der Regel wird kein kompletter Arbeitsplatz ersetzt, sondern einzelne Aufgaben – sogenannte Tasks. Eine Maschine kann z. B. Texte korrigieren, Termine planen oder Daten analysieren, aber selten die gesamte Arbeit eines Menschen übernehmen.
Gleichzeitig entstehen neue Aufgaben: Maschinen müssen gewartet, Systeme überwacht und Prozesse neu strukturiert werden. Dadurch verschiebt sich die Palette an Tätigkeiten. Es entstehen z. B. neue Berufe wie Systemadministrator:innen oder KI-Ethiker:innen. Die Arbeitswelt verändert sich – sie verschwindet nicht. Dennoch ist klar: Viele Menschen müssen sich auf neue Anforderungen einstellen, was sozialen und politischen Druck erzeugt.
Marxistische Einordnung: Produktivität ohne Befreiung
Interessant wird es, wenn man KI aus marxistischer Perspektive betrachtet. Ein wesentliches Merkmal kapitalistischer Produktionsverhältnisse ist, dass steigende Produktivität nicht zu mehr Freizeit oder Lebensqualität führt – sondern nur den Gewinn steigert. Obwohl KI-Systeme wie ChatGPT unseren Output erhöhen, entlasten sie uns nicht spürbar. Im Gegenteil: Oft verinnerlichen wir den Druck, sie zu nutzen, um „mithalten“ zu können. So tragen wir selbst zur Intensivierung unserer Ausbeutung bei.
In diesem Sinne kann KI als „letzte Maschine des Kapitals“ verstanden werden: Sie ist keine neutrale Technologie, sondern fest eingebunden in die kapitalistische Logik von Verwertung, Kontrolle und Effizienz. Anstatt Arbeit abzuschaffen, steigert sie die Erwartungen an uns – schneller, besser, produktiver zu sein.
Wer steckt hinter der KI?
Die treibende Kraft hinter der KI-Industrie sind nicht gemeinnützige Forschungseinrichtungen oder öffentliche Institutionen, sondern die großen Technologiekonzerne – allen voran Unternehmen wie Microsoft, Google, Meta oder Amazon. Diese Firmen dominieren den digitalen Kapitalismus seit Jahrzehnten und verfügen über das, was KI heute am meisten braucht: riesige Datenmengen.
Denn moderne KI basiert nicht auf völlig neuen Algorithmen – viele Verfahren existieren seit den 1980er Jahren – sondern auf der Fähigkeit, große Datenmengen zu analysieren und Muster zu erkennen. Die Konzerne profitieren gleich doppelt: Sie besitzen nicht nur die Daten, sondern nutzen KI auch, um diese noch effizienter zu verwerten – etwa zur gezielten Werbung, zur Marktsteuerung oder zur Kontrolle von Nutzerverhalten. Es entsteht ein selbstverstärkender Kreislauf aus Datenextraktion, Technologiefortschritt und Marktmacht.
Welche Jobs werden ersetzt – und warum?
Entscheidend ist: Im Kapitalismus wird nicht unbedingt das automatisiert, was am schwersten, gefährlichsten oder unangenehmsten ist. Automatisiert wird, was sich rechnet. Viele schlecht bezahlte Jobs im Pflege- oder Reinigungssektor bleiben erhalten, weil ihre Automatisierung teuer oder technisch kompliziert ist. Dafür werden einfache Bürotätigkeiten, Texte, Analysen oder sogar kreative Leistungen zunehmend von Software übernommen. Das bedeutet nicht, dass die Arbeit verschwindet – sie wird umverteilt oder verändert.
Globale Perspektive: Ressourcen und digitale Ausbeutung
KI hat nicht nur soziale, sondern auch ökologische und globale Auswirkungen. Die Entwicklung und Nutzung großer Modelle verbraucht enorme Mengen an Energie. Hinzu kommt die Nachfrage nach seltenen Erden und Chips – Rohstoffe, die oft unter schlechten Bedingungen im globalen Süden abgebaut werden. Gleichzeitig ist auch die menschliche Arbeit, die in KI steckt, global ungleich verteilt: Viele Daten, mit denen KI-Modelle trainiert werden, müssen von schlecht bezahlten Arbeitskräften sortiert, bewertet und bereinigt werden. Dieses Phänomen wird als „digitaler Kolonialismus“ beschrieben: Der globale Norden profitiert von Technologien, deren Basis im globalen Süden geschaffen wird.
Vollautomatisierter Luxus-Kommunismus – Traum oder Täuschung?
In linken Debatten gibt es die Vision einer befreiten Gesellschaft, in der niemand mehr arbeiten muss, weil Maschinen die gesamte Produktion übernehmen – bekannt als vollautomatisierter Luxus-Kommunismus. Diese Utopie verweist auf das emanzipatorische Potenzial von Technologie: Wenn Maschinen unsere Bedürfnisse befriedigen können, ließe sich der Zwang zur Lohnarbeit überwinden.
Doch jede neue Maschine des Kapitals ist ambivalent. KI wird heute bereits für Kriegsführung, Überwachung und Kontrolle eingesetzt. Die gleichen Systeme, die Texte generieren, analysieren auch Bewegungsprofile, überwachen Kommunikation oder zielen in militärischen Drohneneinsätzen auf Menschen. Ob KI zur Befreiung oder zur Repression beiträgt, ist keine technische Frage – sondern eine politische.
Fazit
Künstliche Intelligenz ist kein Wunderwerk – sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung, globaler Arbeitsteilung und kapitalistischer Dynamik. Ihre gesellschaftliche Bedeutung liegt nicht in ihrer technischen Raffinesse, sondern in den Fragen, die sie aufwirft: über Arbeit, Macht, Gerechtigkeit und Zukunft. Wenn wir KI nicht dem Markt überlassen wollen, müssen wir sie politisch gestalten – im Sinne der Vielen, nicht der Wenigen.
Teile diese Seite mit Freund:innen: