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252 - Das chinesische Jahrhundert

17.05.2025

Ist China kommunistisch?

Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) versteht sich weiterhin als kommunistisch. Die leitende Ideologie ist nach wie vor vom Maoismus geprägt. Ein zentrales Problem für die kommunistische Partei ist jedoch, dass der Marxismus keine konkrete Theorie für den Aufbau des Sozialismus liefert. Daher orientierte sich die KPCh besonders an leninistischen Konzepten. Als sie 1949 die Macht übernahm, war China noch weit von einem entwickelten Industriestaat entfernt. Deshalb setzte man zunächst auf das Modell der „Neuen Demokratie“, eine hybride Wirtschaftsform aus privatwirtschaftlichen, staatlichen und kollektivwirtschaftlichen Elementen. Mao stand dieser neuen Demokratie jedoch stets kritisch gegenüber und versuchte diese durch den “Großen Sprung nach vorn” oder die Kulturrevolution einzudämmen.

Von der Planwirtschaft zur Öffnung

Mit der Reform- und Öffnungspolitik ab 1978 setzte China verstärkt auf marktwirtschaftliche Elemente. Deng Xiaoping leitete eine pragmatische Wende ein: Der Staat sollte weiterhin in Schwerindustrie und langfristige Projekte investieren, während die Leichtindustrie der dynamischeren und profitableren Privatwirtschaft überlassen wurde. Um die Kapitalknappheit zu überwinden, warb man gezielt um ausländische Investitionen, etwa über Joint Ventures. Ab den 1990er Jahren, besonders im Zuge der WTO-Beitrittsverhandlungen, wuchs der private Sektor rasant, was zwar wirtschaftlichen Wohlstand brachte, aber auch zu wachsender sozialer Ungleichheit führte. Heute ist die Kluft zwischen Arm und Reich deutlich spürbar. Die KPCh, einst eine Partei der Arbeiter:innen, hat sich zu einer Elitenorganisation gewandelt. Ein großer Teil der Bevölkerung arbeitet im informellen Sektor, oft ohne soziale Absicherung. Das marxistische Selbstverständnis der Partei steht in starkem Kontrast zur gesellschaftlichen Realität, die von neoliberalen Elementen geprägt ist – ein umfassender Sozialstaat oder ein stabiles Sicherheitsnetz existieren nicht.

Xi Jinping und die Rückkehr des Staates

Unter Xi Jinping, der seit 2012 an der Spitze der KPCh steht, zeichnet sich eine klare Umkehr ab. Er sieht die Zeit der Industrialisierung als abgeschlossen – nun könne und müsse der Staat wieder eine stärkere Rolle in der Wirtschaft übernehmen. Xi verfolgt eine Strategie, die den staatlichen Sektor stärkt und die Privatwirtschaft bewusst zurückdrängt. Aus seiner Sicht hat die Geschichte gezeigt: Je stärker China wird, desto größer wird auch der internationale Druck. Um in diesem globalen Wettbewerb zu bestehen, braucht es einen starken Staat.

Nationale Narrative: Vom Aufstehen zur Stärke

Die Entwicklung Chinas lässt sich auch an den Leitsprüchen seiner führenden Politiker ablesen: Mao Zedong verkündete, „China ist aufgestanden“, Deng Xiaoping sagte, „China ist reich geworden“, und Xi Jinping stellt fest: „China ist stark geworden“. Diese Narrative zeigen nicht nur wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch den wachsenden Selbstanspruch Chinas als Weltmacht.

Chinas Aufstieg: Zwischen Nationalismus, Weltmachtanspruch und Technologieführerschaft

Chinas Streben nach globaler Führungsrolle ist eng mit einem starken Nationalismus verbunden. Seit den Anfängen der KPCh gehört die Vorstellung dazu, zur einstigen Größe zurückzukehren und historische Verluste – etwa durch den westlichen Imperialismus – auszugleichen. Dieser Anspruch geht über marxistische Ideen hinaus und erklärt Chinas Bestrebungen, geopolitisch und wirtschaftlich unabhängig und stark zu werden. Statt Revolutionsexport wie in der Sowjetunion setzt China heute auf Kapitalexport, um seinen Einfluss zu erweitern. Parallel dazu forciert es seine technologische und wissenschaftliche Führungsrolle: China gilt längst nicht mehr als bloßer Kopierer des Westens, sondern setzt in Schlüsselbranchen wie KI, Raumfahrt und grüner Technologie zunehmend eigene Maßstäbe. Der Weltmachtanspruch speist sich somit aus einer Mischung aus nationalem Selbstverständnis, geopolitischer Strategie und Innovationsdrang.

Europas Rolle im geopolitischen Dreieck

Für Europa stellt sich die Frage, wie es sich im geopolitischen Spannungsfeld zwischen China, den USA und Russland positionieren soll. Eine balancierte Außenpolitik ist nötig, um die eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten. Europa sollte seine Verhandlungsmacht stärken, indem es tragfähige Beziehungen zu China, Russland und dem globalen Süden aufbaut anstatt sich zu sehr an eine Seite zu binden.

Was wir von China lernen können…

China hat in den letzten Jahrzehnten eine beispiellose Entwicklung vollzogen – nicht zuletzt, weil es ständig dazugelernt hat. Vielleicht ist das die wichtigste Lektion: Von China zu lernen heißt, lernen zu lernen. 

 

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