Stand heute?
Die Linke am 1. Mai ist zersplittert. Diese Zersplitterung ist Ausdruck von Krisen innerhalb der Linken und wie man sich auf die Geschichte der Linken bezieht. Z.B. gibt es auf den Krieg im Nahen Osten und Organisierungsansätze sehr unterschiedliche Ansichten. So gibt es in Wien am 1. Mai gleich vier Umzüge:
- den der Sozialdemokratie
- den der KPÖ
- einen Internationalistischen eint nicht zuletzt, dass man sich dort positiv auf die sozialistische Geschichte und das, was es in Gegenwart gibt, bezieht. Dementsprechend viele Mao- oder Öcalan-Fahnen sieht man auf diesem Umzug.
- und zu allerletzt der Mayday-Umzug der organisiert wird von einem Bündnis aus verschiedenen jüngeren linken Gruppen aus dem Antifa-Spektrum und linken Initiativen. Dort will man undogmatisch und herrschaftskritisch sein. Dabei wird der Undogmatismus selbst teils wieder zum Dogma. Dort sind zB auch keine linken “Kaderorganisationen” zugelassen. (Kaderorganisationen sind Organisationen, die ihre wichtigsten Positionen mit politisch intensiv geschulten und eigens ausgewählten Parteimitgliedern besetzen)
Wie kam es dazu?
Der 1. Mai ist eigentlich gar nicht neu. Schon lange bevor es ein politischer Feiertag wurde, war er ein Frühlingsfest. Mit Maibäumen, Tänzen und allem drum und dran. Aber dann kam das 19. Jahrhundert – die Zeit der Industrialisierung. Die Arbeit war hart, der Alltag für viele Menschen war richtig schwer. 12-Stunden-Tage waren ganz normal, oft noch länger. Keine Rechte, kaum Pausen – alles nur Arbeit.
Und genau da kommt der 1. Mai als Tag der Arbeit ins Spiel. Im Mai 1886 gingen in den USA hunderttausende Arbeiter*innen auf die Straße. Sie hatten die klare Forderung: „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden Freizeit.“ Vor allem in Chicago war die Stimmung angespannt. Bei einem Streik kam es zu Gewalt – die Polizei griff hart durch, mehrere Arbeiter wurden erschossen.
Kurz darauf gab es eine große Protestdemo auf dem Haymarket Square, bei der eine Bombe explodierte. Es gab Tote, Verletzte – und am Ende einen umstrittener Gerichtsprozess, bei dem mehrere Arbeiterführer verurteilt und hingerichtet wurden, obwohl ihre Schuld nie bewiesen wurde. Diese Ereignisse bewegten die Menschen weltweit – und sie machten den 1. Mai zum Symbol für den Kampf der Arbeiter:innen um gerechte Arbeitsbedingungen.
Drei Jahre später, 1889, beantragte die US-amerikanische Delegation beim Internationalen Arbeiterkongress in Paris, den 1. Mai in Erinnerung an die hingerichteten Gewerkschafter von Chicago zum weltweiten Kampftag der Arbeiter.innenbewegung für den 8-Stunden-Tag zu erklären. Es sollte so etwas wie "Das Ostern der Arbeiter“ werden.
Seitdem wird der 1. Mai weltweit begangen. Auch in Wien gab es 1890 eine riesige Demo – über 100.000 Menschen versammelten sich beim Prater, dort wo heute der sozialdemokratische Umzug startet. Und das war richtig besonders: Denn normalerweise gehörte der öffentliche Raum am 1. Mai dem Adel, mit edlen Wagen und feinen Kleidern. Jetzt aber waren es die Arbeiter*innen, die den Raum für sich beanspruchten. Der 1. Mai zum Kampftag für ein demokratisches Wahlrecht und wurde 1919 als „Tag der Arbeit“ Staatsfeiertag.
Der schleichende Niedergang
Kurz gesagt: Aus einer Bewegung von unten wurde irgendwann ein Teil der offiziellen Politik. Und mit der Zeit ging das kämpferische, revolutionäre Element verloren. Während es in Russland 1917 zum Versuch einer sozialistischen Umwälzung kam, arrangierte sich in Österreich die Sozialdemokratie mit dem bürgerlichen Staat, so wurde der 1. Mai 1919 zum Staatsfeiertag. Das hat es sicherlich den Demonstranten erleichtert und es gab weniger Ausschreitungen.
Aber die Aufnahmen der Arbeiterklasse in den Staat, ist eine Niederlage. Viele Sozialisten setzen diese Reformen des bürgerlichen Staats mit einem darüber hinauskommen gleich und verwandeln so Niederlagen in Siege. Aus marxistischer Sicht ging es gerade darum, dass dieser Staat aufgehoben werden sollte. Das die “Gesellschaft” - die Arbeiterklasse - sich den kapitalistischen Staat wieder aneignet, um die Herrschaft von Mensch über Mensch zu beenden.
Und der 1. Mai? Der ist irgendwie Teil dieser Geschichte – aber nicht mehr als lebendiger Ausdruck davon, sondern eher als Ritual. Die Sozialdemokratie feiert da vor allem sich selbst. Und sie erzählt dabei eine bestimmte Geschichte: Dass die Arbeiterbewegung erfolgreich war. Dass Reform auf Reform folgte. Dass wir heute in einer Demokratie leben, in einem Sozialstaat, und das sei der Sieg. Diese Geschichte klingt gut – aber sie ist gefährlich.
Denn sie vergisst, wie viele Kämpfe gescheitert sind, und verschleiert, was das ursprüngliche Ziel dieser Kämpfe - die Weltrevolution und der Sozialismus- war. Sie vergisst, dass es mal um viel mehr ging als um ein bisschen mehr Lohn oder Urlaubstage. Und sie vergisst, dass viele dieser „Errungenschaften“ heute wieder abgebaut werden.
Resümee
Wenn wir den 1. Mai heute nur noch als Nostalgie feiern – oder als nette Gewerkschafts-Kundgebung – dann verraten wir auch damit den ursprünglichen Geist dahinter. Der 1. Mai könnte wieder ein Tag sein, an dem wir uns daran erinnern: Es gab eine Bewegung, die mehr wollte als Reformen. Eine Bewegung, die an die Möglichkeit geglaubt hat, die Welt zu verändern – grundsätzlich, nicht nur ein bisschen.
Diese Möglichkeit ist heute vergraben unter Schichten aus Niederlagen und vielleicht ist das unsere Aufgabe heute: Nicht einfach die alten Parolen wiederholen, nicht einfach zu sagen “der Kampf geht weiter” - sondern zu fragen: Inwiefern sind wir heute schlauer als Linke vor 100 Jahren? Was bedeutet das Scheitern der Linken im 20. Jahrhundert? Und was können wir heute aus dieser Geschichte lernen?
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