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242 - Undemokratische Demokratie

Leben wir wirklich in einer Demokratie?

Hallo und herzlich willkommen bei Über Politik, dem Junge Linke Podcast. Jede Woche reden wir hier über Politik. Mit Über Politik gehen wir über die Empörung über Politik und die Selbstgefälligkeit von Politik hinaus. Wir zoomen raus aus dem Alltag und versuchen mit spannenden Gästen zu verstehen, was denn jetzt wirklich hinter der Politik steckt. Mein Name ist Alisa Wengerower und das ist Über Politik.

Leben wir in einem System, in dem die Macht tatsächlich vom Volk ausgeht? Oder ist es nur eine Fassade? Welche Rolle spielt der Parlamentarismus dabei? Liegt es an den Abläufen im Parlament, an der Macht der Parteien? Oder steckt da vielleicht etwas Grundsätzlicheres dahinter? Diese Fragen diskutieren wir heute mit Alfred Noll.

Alfred Noll war selbst Abgeordneter im Nationalrat und kennt die politischen Prozesse von innen. Mit ihm spreche ich heute darüber, was das Parlament tatsächlich leisten kann und warum es oft nicht tut, was es vielleicht auch könnte.

Wir fragen uns, ist der Parlamentarismus, wie er bei uns heute funktioniert, ein System, das echte politische Veränderung ermöglicht? Oder dient er eher dazu, bestehende soziale und ökonomische Verhältnisse abzusichern? Welche Rolle spielen große wirtschaftliche Akteure in diesem System? Und welche Möglichkeiten gibt es, unsere Demokratie tatsächlich demokratischer zu machen?

Lieber Alfred, danke, dass du da bist.

Gerne doch.

Erste Frage direkt. Allein schon der Name Demokratie kommt ja vom altgriechischen Demos, bedeutet Volk und ist eine Form politischer Herrschaft, in der die Herrschaft vom Volk ausgehen soll. Ist das bei uns wirklich so? Geht bei uns die Macht tatsächlich vom Volk als Souverän aus? Was würdest du meinen?

Also natürlich ist die Debatte über Demokratie ein sehr weites Feld und Vieles hängt davon ab, welche Brille man aufsetzt, wenn man sich auf diesen Begriff stürzt. Ich würde vorschlagen, dass man zunächst einmal die Beschränkungen, die die Demokratiediskussion in unserem Land hat, benennt, zumindest beispielhaft.

Erstens, Demokratie wird bei uns immer beschränkt auf das politische Geschehen und nicht auf das betriebliche, wirtschaftliche, kulturelle und sonstige Geschehen. Das heißt, es ist eine Verengung, die versucht wurde Ende der 60er Jahre in Deutschland, Italien, Frankreich aufzubrechen, sich aber dann Bahn gebrochen hat und wer heute über Demokratie spricht, meint fast immer nur Demokratie in Hinblick auf das politische System. Wir haben keine relevante politische Kraft mehr, die sich für mehr Demokratie in der Kultur, für mehr Demokratie in den Betrieben und in der Wirtschaft einsetzt. Und diese Verengung des Demokratiebegriffs, die ist dann auch konstitutiv für das Bedeutungsfeld, das mit dem Namen Demokratie verbunden ist.

Zweitens, in unserer Verfassung heißt es so schön im Artikel 1, Österreich ist eine demokratische Republik, ihr Recht geht vom Volk aus. Und Hans Kelsen hat immer argumentiert, wir reden da nicht über Macht, wir reden nur über Recht. Und damit hat er, wie Vieles bei ihm, einerseits recht und andererseits natürlich unrecht. Weil politische Institutionen und die Verhältnisse, in denen diese Institutionen erstens zueinander und auch zum Volk stehen, natürlich immer Ausdruck von Machtverhältnissen sind. Und ja, Demokratie ist die Herrschaft des Volkes, vermittels des Rechts. 

Nur, wir haben spätestens seitdem Johannes Agnoli, wäre jetzt 100 Jahre alt geworden, und der hat Ende der 60er ein schönes Buch geschrieben, Transformation der Demokratie, wo er erstmals oder zumindest sehr aufmerksam den Finger auf die Wunde der parlamentarischen Demokratie gelegt hat, dass es nämlich hier eine Umkehrung gibt. Es ist nicht mehr so, dass die Parlamente, der Bundestag, der Nationalrat oder wie auch immer sie heißen, Ausdruck eines Volkswillens sind, sondern sie dienen nur mehr als Legitimationsvehikel für die Rackets und für die Regierenden. Und das ist bis heute natürlich etwas, was sich immer mehr verdichtet, immer mehr institutionalisiert hat. 

Und um jetzt to make a long story short zu machen: Das Parlament ist kein wesentlicher Einflussfaktor des Volkes, um Politik zu gestalten, sondern das Parlament, der Nationalrat ist tatsächlich die Schaufassade der Parteizentralen in Österreich und da kann man dann jetzt wiederum lange diskutieren, unter welchem Einfluss diese Parteizentralen jeweils stehen. Aber meine persönliche Erfahrung, nicht nur in den Jahren, in denen ich im Nationalrat gesessen bin, sondern auch in der wissenschaftlichen Befassung damit, ist ganz klar, das Parlament hat jeglichen Subjektcharakter verloren und ist größtenteils Fassade.

Könnte man dann sagen, Parlamentarismus aktuell vor allem dient, um bestehende soziale Verhältnisse, bestehende wirtschaftliche Verhältnisse einfach zu sichern, also statt tatsächlich echte Veränderungen zu ermöglichen?

Ja, allerdings mit der Erweiterung, dass es eben nicht nur das Parlament ist, sondern das Institutionsgefüge insgesamt, aus dem es kaum ein Entkommen gibt.

Magst du da erklären, was du mit dem Institutionsgefüge meinst?

Also nehmen wir das Wahlrecht zum Beispiel. Die Zusammenstellung der Wahllisten wird von den Parteizentralen gemacht und das war ein hervorragendes Merkmal des ÖVP-internen Putsches von Kurz, dass er gesagt hat, er möchte jedenfalls die Macht oder das Recht haben, bis zu den Landeslisten hinein Einfluss zu nehmen. Das heißt, ins Parlament kommt nur, wer von den jeweiligen Parteispitzen dafür nominiert wird, auf die Wahllisten kommt. Und wer sich im Parlament dann nicht wohl verhält, in einer Legislaturperiode, kandidiert beim nächsten Mal gar nicht mehr, weil er nicht mehr auf der Wahlliste steht.

Das schränkt von vornherein die Möglichkeiten parlamentarischer Aktivitäten sehr ein, schränkt aber nicht nur nationalratsbezogen die Aktivitäten ein, sondern auch außerhalb des Nationalrates, weil man in und außerhalb des Parlaments in gewisser Weise der jeweiligen Partei gefällig sein muss. Und dafür gibt‘s etliche Beispiele. Und das Parlament funktioniert deshalb als verlängerte Werkbank der jeweiligen Parteizentralen, sprich der jeweiligen Regierung.

Ich erinnere daran, dass in der Zeit zwischen 1918 und 1920, wie die österreichische Politik noch ein bisschen mehr revolutionären Impetus und auch mehr revolutionäre Haltung hatte, die Minister ja nicht Minister hießen, sondern Volksbeauftragte. Und das hatte auch seinen guten Sinn, weil das ursprüngliche Modell parlamentarischer Demokratie ja so gefasst war, zumindest im Liberalismus des 19. Jahrhunderts, dass es ein Parlament gibt. Und das Parlament sagt der Exekutive, was zu tun ist. Und das hat sich zu 180 Prozent verkehrt. Es ist heute die Exekutive, sprich die Regierung, die dem Parlament vermittels Regierungsvorlagen sagt, was das Parlament zu beschließen hat. Und deshalb ist das Parlament nicht mehr Subjekt, sondern es ist Objekt und Transmissionsriemen des politischen Willens der Parteizentralen, sprich der Regierungsfraktionen, weil diejenigen Parteien, die in Opposition sind, ja nichts zu sagen haben.

Das finde ich tatsächlich sehr spannend. Bleiben wir vielleicht gleich da. Vielleicht kannst du uns noch mehr Einblicke geben, wie sich das politische System in Österreich tatsächlich im letzten Jahrhundert und in den letzten Jahrzehnten verändert hat und welche Auswirkungen das hat. Also ich glaube, wir müssen jetzt nicht alles durchgehen, aber ein paar ausgewählte Punkte, die du spannend findest, wie eben das jetzt mit den Volksvertretern.

Naja, ich glaube es ist zweckmäßig schon in der Zeit nach 1945 anzufangen, und da gibt’s ein paar konstitutive oder konstituierende Elemente.  Das erste ist, man hat 1945 die Verfassung von 1929 übernommen, die aufgrund eines präfaschistischen Putschversuches in Wirklichkeit entstanden ist, weil 1929 der Prälat Seipel der Sozialdemokratie mehr oder weniger unverblümt gesagt hat, entweder ihr stimmts zu oder die Heimwehr putscht in Österreich.

Das ist ein Faktor. Der zweite Faktor ist, nach 1945 gelang es in Österreich den Austrofaschisten, sich als Widerstandskämpfer zu gerieren. Und wir haben also von vornherein, verbunden mit dem sogenannten, wie hat das geheißen, das Gefühl des gemeinsam eingesperrt Seins im Konzentrationslager, diese Lagerstraßenmentalität. Wir haben ein sehr konzertiertes und konzentriertes Regierungssystem gehabt, in dem jeder versucht, davon auszubrechen, zum Beispiel 1950 durch den Streik, der dann sofort als Putschversuch denunziert worden ist, der immer festgelegt worden ist auf Gemeinsamkeit, auf Harmonie, auf Konkordanz.

Und die Sozialpartnerschaft, die bis Ende der 90er-Jahre funktioniert hat, hat das politische System, nämlich die Institutionen, Nationalrat, Ministerien, Kammern und so weiter, fast überflüssig gemacht, weil politische und insbesondere wirtschaftliche Entscheidungen außerhalb dieser Institutionen getroffen wurden und vielleicht sehr verkürzt gesagt, das, was heute die Regierung ist, die sich des Parlaments bedient, um ihre Beschlüsse durchzusetzen, das war bis Ende der 90er-Jahre die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeiterkammer, Gewerkschaftsbund auf der einen Seite, Industriellenvereinigung, Wirtschaftsbund auf der anderen Seite, die das Parlament genützt haben, um ihre Entscheidungen umzusetzen.

Also der große Wandel besteht darin, dass das Quäntchen an Demokratie, das man dadurch hatte, das die großen gesellschaftlichen Organisationen miteinander verhandelt haben, nochmals minimiert wurde auf eine Gruppe von Leutchen, die jetzt als Regierung und Parteispitzen dem Parlament sagen, was es zu tun hat. Und das ist, das müsste man empirisch nachvollziehen und in den Arbeiten von Leuten wie Emmerich Talosch und so weiter kann man das anhand der Sozialpartnerschaft auch nachvollziehen, es hat sich weiter verengt. Und das ist ein herausragendes Kriterium, das mit zwei weiteren Faktoren zu betrachten ist.

Das erste ist, durch den EU-Beitritt hat sich natürlich die nationalstaatliche Souveränität im Bereich der Wirtschaftspolitik und der gesamten Finanzpolitik sehr, sehr verengt. Die Möglichkeiten, die vorher die Sozialpartner hatten, um konjunkturelle Schieflagen auszubessern, die sind fast weg.

Das Zweite ist, dass durch den Prozess der zunehmenden Monetarisierung, Kommerzialisierung und auch Präkarisierung des gesamten Arbeits- und Kulturlebens sich die großen politischen Lager aufgelöst haben. Also das, was der Lyotard damals noch als große Erzählung genannt hat, sei es Religion, sei es Weltanschauung oder wie auch immer, die sind insofern weg, als sie für das Handeln der Leute nicht mehr prägend sind. Man weiß zwar, dass es das gegeben hat und jeder weiß, dass es in Österreich Katholizismus gibt, jeder weiß, dass es einen Sozialismus gegeben hat und, und, und, und, und, und. Nur je individuell sind diese großen Erzählungen nicht mehr prägend und handlungsanleitend.

Die Politikwissenschaftler, die bürgerlichen nennen das dann: „das politische Verhalten der Leute ist zunehmend volatil geworden“. Tatsächlich ist es aber so, dass, bei Wahlen sieht man das jetzt, die Leute sich immer später erst überlegen, was sie denn überhaupt wählen. Und es immer schwerer wird vorauszusagen, was Leute aus einem bestimmten Milieu machen.

Das war vor 50 Jahren noch ganz anders. Also Leute, die in traditionellen Arbeiterbezirken, in Linz oder in Braunau oder in der Murmürzfurche oder so, da wusste man, dass die SPÖ wählen. Das ist weg. Das ist alles futsch. Und das ist, in Verbindung mit dem, was ich ganz abgekürzt als Monetarisierung, Kommerzialisierung, Prekarisierung gemeint habe, etwas, wo Social Media, die Beschleunigung der Kommunikation insgesamt, gleichzeitiger mangelnder inhaltlicher Bedeutsamkeit der einzelnen Nachricht, einen ganz, ganz großen Turbo in das hineinbringt und das hat sich sehr gewandelt und führt, langer Rede kurzer Sinn, dazu, dass Politik immer mehr darauf angewiesen ist, situativ Akklamation und Beifall einzufordern und zu erheischen, während die inhaltlichen langfristigen Interessensvertretungen Schiffbruch erleiden, weil man es überhaupt nicht mehr argumentieren kann und es keinen Ort mehr gibt, um das überhaupt zu argumentieren.

Aber ist da nicht ein Grund, also von dem, was du gerade sagst, schon, dass diese Interessensvertretungen jetzt einfach einen ganz anderen Charakter haben? Also wo sich vor 40 Jahren tatsächlich noch eine Systemfrage gestellt hat und die Frage gestellt hat, okay, welche Interessen vertritt die Partei, die ich wähle, dann in einem Parlament? Es ist jetzt einfach nur die Frage von, wer verwaltet von welcher Sichtweise heraus den Staat. Und da, ja, glaube ich, muss ich tatsächlich sagen, verstehe ich, dass Leute sich immer später entscheiden, weil im Endeffekt die Antwort oft ist, naja, ist mir ein bisschen wurscht.

Und die Medien ja dazu neigen oder ganz manifest dahin führen, Politik zu verkürzen auf Personen und Skandale und nicht mehr nachvollziehbar machen, was eigentlich die einzelnen Leute für Interessen vertreten. Das ist ein Wandel, der noch nicht aufgearbeitet ist. Ich persönlich, also ich habe ja kein Handy, ich finde ja, dass die Zivilisation falsch abgebogen ist mit diesem ganzen Social Media Mist. Wir werden es nicht ändern und niemand von uns wird‘s ändern. Aber es ist ein bisschen so wie bei einem Flussdelta, wo sich kurz vor der Mündung das in tausende verschiedene Ströme teilt. Und wenn einman mal auf dem einen Strom unterwegs ist, kommt man nicht mehr zu dem anderen. Und so kommt‘s mir momentan vor. Und wer dann hier schneller, effektiver ist, und man sieht das bei FPÖ und AfD in den Social-Media-Kanälen, der hat offensichtlich einen Aufmerksamkeitsvorsprung, der sich fast direkt umsetzt in Zustimmung.

Ich glaube ja, dass das vollkommen konträr ist zu allen Erfahrungen der Arbeiterbewegung und auch der Zivilgesellschaft. Solidarität, Empathie entsteht immer nur im sinnlich erfahrbaren Kontakt der Menschen untereinander. Mit einem Like werd ich nicht zum Freund. Durch gemeinsame Kämpfe und gemeinsame Auseinandersetzungen, gemeinsame Siege und gemeinsame Niederlage werde ich das oder kann‘s zumindest werden. Und in dem Maß, in dem so etwas abnimmt, es gibt ja keine gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, obwohl es sehr viele gesellschaftliche Widersprüche gibt, verliert auch diese Ressource der Solidarität und Bedeutsamkeit für die einzelnen Leute und man erwartet sich immer mehr von etwas, das man aber immer weniger kennt. Und das ist ein enorm schwieriges Umfeld, weil gleichzeitig natürlich diese vorher institutionalisierten Gemeinschaften wie Parteien, Arbeiterkammer bis hin zu Automobilclubs und so weiter, immer mehr an Gemeinschaftlichkeit verlieren, sondern nur mehr Dienstleister sind für bestimmte Dinge.

Und das alles hat Einfluss auf das politische Geschehen. Und vielleicht, wenn man sich jetzt anschaut, warum braucht Österreich fünf Monate, bis es eine Regierung zusammenbringt. Meine kurze Erklärung dafür ist, weil die Bourgeoisie verlernt hat, ihren eigenen Laden zu schupfen. Sie wissen nicht mehr, was sie tun sollen. Und dieses Unwissen oder diese Unfähigkeit führt zu einem Hin- und Herrudern zwischen Demagogie und Abstand von den eigentlichen Geschehnissen.

Deshalb finde ich es ja vergleichsweise konsequent, wenn die ÖVP zuerst gesagt hat, naja, wir versuchen eine Koalition mit der SPÖ zu machen, dann dort aber nicht weiterkommen, weil die SPÖ insofern zumindest relativ stabil und hart geblieben ist und gesagt hat, naja, Budgetsanierung kann nicht nur von der Masse der Leute übernommen werden, sondern da müssen schon auch die beteiligt werden, die verdient haben. Die ÖVP dann zur FPÖ geht, weil dort weiß man, wie programmatisch das ausschaut, dann gleichzeitig aber zerschellt am mangelnden Anstand. Also an einer vollkommen kruden, unpolitischen Kategorie. So als ob man die Lektüre von Machiavelli nach dem zweiten Kapitel des Fürsten abgebrochen hätte und nicht weiß, dass der Fürst halt auch das Böse machen muss, um als Souverän bestehen zu können. Aber da war der Anstand dann quasi, so wie Nehammer das gesagt hat, mit dem mache ich das nicht, irgendwie.

Nur die Forderungen der FPÖ, die waren seit jeher bekannt, die waren der ÖVP bekannt und man kommt jetzt zurück und hat den großen Vorteil, dass man die SPÖ jetzt billiger bekommt, als man sie vorher bekommen hätte. Also man kann auch den Verdacht äußern, dass die ÖVP das von allem Anfang an sich so überlegt hat. Ich glaube nur nicht, dass es dort Strategen genug gibt, um sich das so zu überlegen. Aber denkbar wäre das natürlich.

Bleiben wir gleich da für die nächste Frage. Und zwar, wir hatten jetzt, im Herbst haben wir gewählt, jetzt hatten wir ein halbes Jahr lang keine Regierung und gleichzeitig aber eigentlich ein gewähltes und voll funktionsfähiges Parlament und eigentlich auch noch eine alte Regierung, die jetzt natürlich nichts gemacht hat.

Eben. Wir haben immer eine Regierung. Klarerweise.

Genau. Warum ist das so? Also ja, wir wissen, wie das Parlament in Österreich funktioniert, aber warum funktioniert‘s nicht anders? Es gibt ja genug Länder, wo das tatsächlich auch anders läuft.

Naja, die meisten Länder, wenn man so, also in Europa, ansonsten kenne ich mich zu wenig aus, da ist es schon so, dass nach jeder Wahl die alte Regierung so lange im Amt bleibt, bis die neue Regierung angelobt, ernannt oder wie auch immer. Also diese Kontinuität, die Wahrung der Kontinuität ist schon fast in allen Verfassungen so drinnen. Was das Charakteristikum ist, dass das Parlament quasi auf Stand-by gestellt wird, obwohl es da ist mit neuen Abgeordneten. Und das ist eher verwunderlich. Also wir haben jetzt fast ein halbes Jahr neue Abgeordnete, die durch eine Volkswahl bestellt worden sind, also die Parteien sind gewählt worden mit ihren Kandidaten und die leisten es sich, ein halbes Jahr quasi nichts zu tun.

Das passt aber sehr gut zu dem, was ich vorher kurz skizziert habe, das Parlament als verlängerte Werkbank der Regierung. Das heißt, das Parlament hat keinen Job, wenn‘s keine Regierung gibt, die dem Parlament sagt, was zu tun ist. Und das muss man sich schon auf der Zunge zergehen lassen, weil da wird sehr sinnfällig diese diese Umkehrung, die der Johannes Agnoli vor inzwischen gut 50 Jahren beschrieben hat schon, dass die Parlamente nicht mehr Ausdruck der Volkssouveränität sind, sondern umgekehrt nur mehr Erfüllungsgehilfen der jeweils Mächtigen und Regierenden. Weil da ist es, wie soll man sagen, da ist der Beweis dafür.

Wär‘s andersherum, dann hätten wir ja seit einem halben Jahr ein arbeitendes Parlament, das Initiativanträge macht und, und, und, und, und, und, und was weiterbringt, nur es geht halt nicht, es stockt, es steht. Also, so wie ich hier behaupte, böswillig, es gibt keinen Klubzwang, sondern eine Klublust der Abgeordneten, die wollen das machen, was der Klub sagt, um das Gefühl zu haben, sie sind professionelle Politiker. So ist umgekehrt, wenn die Regierung dem Parlament nicht sagt, was zu tun ist, dann wissen sie nicht, was sie dort sollen. Und das ist das Gegenteil natürlich dessen, was der Liberalismus im 19. Jahrhundert von der Paulskirche aufwärts für sich selber in Anspruch genommen hat, nämlich, dass wir intelligente, gescheite, anständige Vertreter spezifischer Interessen und Werte haben. Und hier sieht man, dass es genau umgekehrt ist. Es gibt keine Interessen, keine Werte, keinen Anstand und nichts, wenn die Regierung nicht sagt, was zu tun ist.

Und dann wird abgestimmt.

Und dann wird abgestimmt, wobei, also da gibt‘s schon Dinge, ich habe ja im Nationalrat nicht wirklich viel dazugelernt, also so, dass ich sagen würde, das habe ich vorher nicht gewusst.  Aber es ist schon ein Unterschied, ob man das sinnlich dann miterlebt, wie das abläuft. Also es gibt im Nationalrat keine Abstimmung, wo nicht das Ergebnis dieser Abstimmung von vornherein festlegen würde.

Das kommt dadurch zustande, dass man eine Tagesordnung macht und auf die Tagesordnung kommt nur, wenn die Regierungsfraktionen wissen, dass sie die Abstimmung gewinnen. Sonst kommt das nicht drauf, oder klar ist, dass die Opposition eine Abstimmung will, aber das wird sie verlieren. Also es gibt überhaupt nur Treffen im Plenum und in den Ausschüssen, wo von allem Anfang an, bevor man stundenlang redet über alles Mögliche, schon am Anfang aber feststeht, was rauskommt. Das ist auch der Grund, warum die Parlamentarier den eigenen Leuten nie zuhören, weil sie eh wissen, was rauskommt.

Genau diese Dinge des Funktionierens oder Nicht-Funktionierens des Nationalrates könnte natürlich eine wache Opposition nützen, um hier zumindestens als Wortstock zu fungieren. Nicht als jemand, der Einfluss auf die Entscheidungen nimmt, weil das ist als Opposition fast unmöglich. Das ist so, wie der SPDler der Müntefering einmal gesagt hat, Opposition ist Mist. Nur bis man 51 Prozent hat, das dauert. Also muss man schauen, ob man seine Anwesenheit im Nationalrat umfunktionieren kann. Und das kann man nur, wenn man für ordentlich Transparenz sorgt und wenn man das, was man dort erfährt, was mitbekommt, mit dem Lautsprecherwagen durchs Land trägt. Das heißt, das Parlament wäre für eine Oppositionspartei eine Möglichkeit, Widerstand im Land zu aktivieren, aber nicht im Parlament etwas zu ändern. Das lässt sich aufgrund der Geschäftsordnung und der bestehenden Strukturen nicht machen.

Und damit kann man auch relativieren oder besser einschätzen, warum es sinnvoll ist, um einen Platz in den Vertretungskörpern wie Landtage oder Parlament oder so weiter zu kämpfen, weil nur dadurch, dass man ganz nahe dran ist, kann man diese Informationen dann auch tatsächlich unter die Leute bringen.

Jetzt hast du erzählt von den quasi im Vorhinein ausgemachten Abstimmungen. Gab es sonst noch irgendwas in den Jahren, in denen du im Parlament warst, was du mitbekommen hast, wo du sagen würdest, das soll so nicht funktionieren. Das ist der Grund, warum wir jetzt in dieser politischen Krise sind auch.

Na, die Frage ist, ob wir wirklich in einer politischen Krise sind. Ich glaube, ja, wir sind in einer Krise, aber nicht aus politisch-institutionellen Gründen oder aus Gründen, weil die Verfassung geändert werden müsste oder wie auch immer, sondern weil einfach die sogenannten Führer der jeweiligen Parteien inklusive Wirtschaftsbund, Industriellenvereinigung und so weiter, nicht wissen, was sie tun sollen. Also sie haben so viel an Rationalität und Kenntnis über den eigenen Betrieb verloren, dass sie quasi planlos jetzt mit diesem Vehikel umgehen. Sie wissen, es ist so wie wenn ich einen Hammer habe und nicht weiß, wo ich draufhauen soll. Und deshalb wird gefuchtelt damit. Und Parlamentarismus dient als Fassade und die Frage ist, was macht man damit?

Also eine Variante wäre, sich zu fragen, ob die Erstellung der Wahllisten und das Verhältniswahlrecht wirklich das beste System ist. Ich war immer ein großer Anhänger des Verhältniswahlsystems und habe mich strikt geweigert gegen dieses Mehrheitswahlsystem, wo jemand, der vielleicht 20 Prozent hat, dann 100 Prozent eines Wahlkreises vertritt. Weil ich das per se undemokratisch gefunden habe. Gleichzeitig führt das bestehende System dazu, dass die Anbindung der einzelnen Abgeordneten an ihre Wählerschaft einfach sehr, sehr lose ist, sondern es ist einfach von den Parteien gnadenvoll jemand auf die Wahlliste gesetzt worden. Und wie man dorthin kommt, muss man diskutieren.

Zweite Sache, man sieht schon, dass die mediale Generierung von Aufmerksamkeit immer bestimmender wird gegenüber dem, was ganz altmodisch gesprochen, Vernunft, wirtschaftliche Rationalität und so gebieten. Und meine Antwort darauf wäre, wir müssen schauen, dass wir Demokratie wieder dorthin tragen, wo die Leute leben, wo sie arbeiten, wo sie lernen. Localized Democracy. Und da sehe ich die Arbeit, die die, ich tue es jetzt personifizieren, was natürlich sachlich nicht richtig ist, aber was „LKK“ und der „Kai Tankel“ in Salzburg und in Graz machen, was an sich genau das Richtige ist, gleichzeitig aber auch, wie soll ich sagen, Ausdruck einer Niederlage ist. Die Niederlage besteht nämlich darin, dass man auf höherer Ebene keine Möglichkeit hat zu intervenieren oder Protest oder Kritik überhaupt nur anzubringen.

Also das, was als großer Vorzug der städtischen Politik, auch in Innsbruck oder Linz, der KPÖ angeführt worden ist, ist eigentlich für einen Marxisten eine Niederlage.

Auf jeden Fall, ja.

Und führt tendenziell bei manchen der Aktivistinnen und Aktivisten zu so einer, ich sag‘s jetzt absichtlich böse, nur um es plastisch zu machen, zu einem Mutter-Theresa-Aktivismus. Wir müssen helfen. Nur das ist das Allerletzte, was eine Marxistin oder ein Marxist im Kapitalismus macht. Gleichzeitig ist es immer legitim, Leiden zu mindern und Leuten zu helfen, klarerweise. Aber als politische Strategie hat‘s eine natürliche Grenze und deshalb muss man sowohl die Erfolge loben und als beachtenswert auch herausstreichen, aber gleichzeitig dazusagen, dass das halt auch aus der Not heraus entstanden ist.

Natürlich, es ist ein Versuch aus der Ohnmacht rauszukommen, in der wir gerade sind, als Linke.

Genau. Ich glaube auch, dass das das Richtige oder das einzig Mögliche momentan ist. Man muss auch Leute finden, die in der Bevölkerung als Personen so untadelig sind und Vertrauen erhalten, dass es fast unabhängig von der Programmatik ist, die sie vertreten. Und diesen Zwiespalt täglich aufzulösen und weiterzutreiben, weil das ist ein Widerspruch, einerseits programmatisch Interessen vertreten zu wollen, gleichzeitig aber auf Personen zu setzen, die Vertrauen gewinnen wollen, unabhängig vom Inhalt, an dem Widerspruch muss man sich entlangarbeiten. Und das ist eine schwierige, das ist eine Challenge.

Was würdest denn du sagen, was wären mögliche nächste Schritte, um für mehr Demokratie in Österreich zu sorgen? Also jetzt gar nicht unbedingt auf parlamentarischem Wege. Also wie könnte man dafür sorgen, dass Menschen tatsächlich stärker eingebunden werden in politische Entscheidungen?

Also meine inzwischen fast mantraartige Formel dafür, ich hab‘s schon erwähnt, ist Localized Democracy. Das heißt, der Ansatzpunkt ist der Finanzausgleich. Man muss den Gemeinden mehr Geld geben, die Bundesländer finanziell entmachten, und den Leuten dort, wo sie wohnen, wo sie arbeiten, wo sie in die Schule gehen, wo sie im Krankenhaus sind, mehr Geld geben und sie darüber entscheiden lassen, was mit diesem Geld gemacht wird. Da wird enorm viel Mist dann gemacht werden. Gleichzeitig glaube ich, dass nur die Erfahrung in Abstimmungen, die einen selbst sinnlich betreffen, einmal zu gewinnen, einmal zu verlieren, bei den Leuten wieder die Zuversicht nähern, dass sie politisches Subjekt sein können.

Also ich glaube auch, dass es verkürzend ist, dauernd von einer Krise des politischen Systems zu sprechen, sondern es ist eine kulturelle Krise, nämlich eine Krise der Lebensweise, wo wir stehen. Das wird aber von niemandem mehr angepackt, weil das auch so schwierig zu transportieren ist, klarerweise. Wir leben verkehrt, in vielerlei Hinsicht. Und darum bin ich ja jemand, der, also ich mache das ja nicht oft, aber hin und wieder habe ich das schon gemacht, wenn ich auf die Homepage der KPÖ schaue, dann finde ich ein sozialreformerisches Programm, das dem ähnelt, was die Sozialdemokratie machen sollte, wenn sie ihren Job machen würde. Aber das was eigentlich der Punkt ist, dass Marxistinnen und Marxisten oder gar Kommunistinnen und Kommunisten der Meinung sind, dass wir eine Produktionsweise haben, die irrational ist und die deshalb zu überwinden ist, nicht weil es anständiger wäre, sondern einfach weil es vernunftwidrig ist, das gibt es nicht mehr. Und das gibt‘s vielleicht als Mentalreservation bei einzelnen Aktivistinnen und Aktivisten, aber im öffentlichen Auftreten ist das futsch.

Ich würde gerade gleichzeitig entgegnen, es interessiert niemanden, weil...

Ja eh nicht, aber umso schlimmer! Ja?

Eben, ich glaube das ist der Punkt, weil...

Nein, nein, es interessiert erstens niemanden und man würde sich selber in diesem Konzert der Öffentlichkeit ja diskreditieren. Aber das ist ja genau das Problem.

Das glaub ich gar nicht so, das ist nicht mein Eindruck. Also auch der Grund, warum wir das jetzt als Junge Linke auch nicht so aktiv kommunizieren ist gar nicht so sehr, weil man sich diskreditiert, gerade unter jungen Menschen würde ich sagen ist das gar nicht so sehr der Fall. Es traut einem einfach niemand zu – und zurecht auch, würde ich tatsächlich sagen. Also ich glaube, das ist viel mehr der Grund, warum wir es jetzt nicht so offensiv kommunizieren, sondern unser Punkt ist, wir müssen überhaupt zu dieser Stärke erst einmal kommen, dass wir davon wieder sprechen können.

Also da erfährt man bei dieser Frage oder bei dieser Auseinandersetzung auch, was Dialektik heißen kann und in welcher Form verschiedene Ebenen der Diskussion über unsere Wirklichkeit vermittelt werden durch Kategorien und Begriffe. Wenn ich sage, ich bin noch nicht so weit, dass ich dort eine Rolle spiele, dann stimmt das immer, klarerweise. Aber...

Und gleichzeitig muss man die Frage immer stellen.

So ist es, genau, das ist genau der Punkt. Also ich kann mich erinnern an viele Diskussionen mit meinem Freund, mit Hans-Heinz Holz, der natürlich immer auf verlorenem Posten stand, selbst in der DKB, mit seinen Ansichten und so, der gesagt hat, das Kriterium kann ja nicht sein, ob‘s die Leute jetzt schon annehmen können oder nicht, sondern nur, ob ich folgerichtig mit meinen Begriffen die Wirklichkeit verstehe. Und das ist ein wahnsinnig komplizierter Prozess und jetzt kann man die ganzen Gefängnishälfte von Gramsci nehmen und sich unterhalten, was zwischen gesundem Menschenverstand und Philosophie der Praxis herauskommt, an hegemonialer Kraft. Aber man darf sich nicht scheuen, das zu tun, glaube ich. Und vor der Aufgabe steht man. Und es ist ganz egal, ob man 1%, 2% oder 70% hat. Die steht immer an die Aufgabe.

Ja, das stimmt. Eine letzte Frage habe ich noch. Auch wenn die KPÖ jetzt in Parlamenten vertreten ist, also gerade mehr in regionalen Parlamenten, Salzburg, Graz, da sind tatsächlich auch teilweise Junge Linke Mitglieder Gemeinderät:innen. Und wenn man da in dieser Parlamente einsieht, ist das erst einmal oft mit einer großen Enttäuschung verbunden. Also ich habe selber auch jetzt längere Zeit in der Öffentlichkeitsarbeit für den Gemeinderatsklub in Graz gearbeitet und mache das jetzt auch in Salzburg und da geht man rein und es ist so ein Theater. Und man kommt auch drauf, dass die Veränderungsperspektive, die man da drinnen hat, sehr, sehr klein ist und natürlich nur innerhalb des Systems, aber dass man so ein kleines Reiskorn auf so einem Riesenberg voller Probleme ist. Und da ist meine Frage, was würdest du sagen, wie kann man am besten damit umgehen? Wie war deine Erfahrung da auch im Nationalrat tatsächlich? Wie bist du damit umgegangen? Und was würdest du uns und tatsächlich auch unseren Aktivist:innen, die da jetzt teilweise in Gemeinderäten sitzen und die gleichzeitig nebenbei versuchen, eben Junge Linke als Jugendorganisation, die ganz stark darüber hinausgeht, auch aufzubauen. Was findest du, sind da die wichtigsten Punkte, die wir mit bedenken müssen?

Also jetzt kommt natürlich meine ausgestellte Altklugheit zum Einsatz. Ich glaube, eine Beteiligung in bürgerlichen Vertretungskörpern macht nur dann Sinn, wenn man von allem Anfang an mit einer gegenüber den anderen vollkommen unterschiedlichen Perspektive dort hineingeht. Die Perspektive bürgerlicher Parteien besteht darin „wir gehen in den Vertretungskörper, weil das ist der Souverän und wir gestalten damit Politik“. Und den Perspektivenwechsel, den ich postulieren würde, ist „Politik machen wir von der Straße für die Leute auf der Straße. Und die müssen so viel Druck erzeugen, dass die in den Vertretungskörpern gar nicht mehr anders können, als dem zu entsprechen.“ Das heißt, frustrieren würde mich nie das lange Gequatsche in diesem Vertretungskörper. Das ist so wie, ja, wenn man studieren will, muss man halt Matura machen? Ja, scheiß drauf. Ja? Deswegen ist ja die Matura nicht wertvoll. Und genauso ist es mit der Beteiligung in Gemeinderäten, Landtagen oder Nationalrat. Das muss man machen, weil quasi diese formelle Beteiligung die Eintrittskarte und gleichzeitig Legitimationskarte für öffentliches Auftreten ist. Aber dort entscheidet sich nichts. Das heißt, die Frustration könnte dadurch entstehen, dass man unter seinem eigenen Niveau der Informationsbeschaffung, der Transparenzherstellung, der Auswertung der Erfahrungen dort drinnen außerhalb des Parlamentes scheitert. Das, glaube ich, ist ein Grund, frustriert zu sein. Aber nicht, dass dort, wo man quasi jetzt hingewählt wurde, unter Anführungszeichen zu wenig geschieht. Weil dort ist immer zu wenig. Das ist das konstitutive Merkmal bürgerlicher Demokratie, dass dort nichts geschehen darf. Und darum könnte das kein Anlass für Frustration sein.

Sondern ein Auftrag.

Es ist der Auftrag, das, was ich dort erfahre, so unter die Leute zu bringen, dass der Druck auf den Vertretungskörper entsprechend stark wird. Das ist hegemoniale Auseinandersetzung. 

Und dann ist es natürlich schon eine Sache, die kompliziert ist. Die Grünen haben ja jahrelang immer gesagt, rotierendes Mandat und es müssen immer neue Leute reinkommen oder so. Ich bin da sehr skeptisch. Man muss schon eine Reihe von Skills quasi erwerben, um sich dort professionell zu bewegen. Da habe ich mir als Jurist relativ leicht getan, weil ich zumindest den Jargon verstehe mit dem die dort kommen. 

An sich ist das eine Zumutung, was dort passiert. Also die Forderung an Abgeordnete, sie müssten das wenigstens lesen, worüber sie abstimmen, ist vollkommen illusorisch. Das geht nicht. Du hast tausende von Seiten irgendwie und wenn man auch noch berücksichtigt, dass man die zugrunde liegenden EU-Rechtsakte verstehen und nicht nur lesen sollte oder so und sich ein Bild machen sollte, ob eine Verordnung im Bereich der Pharmaindustrie jetzt richtig oder nicht richtig ist, chancenlos. 

Umso wichtiger ist es, und das ist das Zweite, glaube ich, sich in der Thematik, und da, glaube ich, macht die KPÖ das ganz gut, sich in der Thematik zu beschränken. Es gibt nur drei, vier Felder, wo man selber so kenntnisreich, so agil und auch so gut sein kann, dass man zunächst einmal annehmen kann, egal wer man von der anderen Seite gegenüber steht, ich weiß mehr und bin deswegen besser. Und das macht Sinn. Und dann kommt es auch nicht zu individuellen Frustrationen, weil der Erfolg genau darin besteht, dass man mitspielen kann auf der Sachebene. Aber das kann man nicht im Bereich der Schweinehälftenverordnung oder der Auseinandersetzung um Pflanzenschutzmittel, weil das einfach nicht geht. 

Und da finde ich‘s richtig, sich zu beschränken und zu sagen, wir sind Spezialistinnen und Spezialisten für die unmittelbaren Lebensinteressen der Leute in diesem Land. Und das heißt nun einmal Teuerung, das heißt Wohnungspreise, das heißt ärztliche Versorgung und Bildungschancen. Und auf dem sitzen wir drauf. Und ohne uns geht keine Diskussion mehr, weil wir darüber besser Bescheid wissen als alle anderen.

Das ist, glaube ich, ein sehr schönes Schlusswort. Vielen Dank, Alfred. Es war eine sehr, sehr spannende Folge. Ich habe auch wahnsinnig viel gelernt. Immer eine Freude, dich zu Gast zu haben.

Gerne doch.

Und das war sie schon, unsere Folge zu Parlamentarismus. Nächsten Samstag geht es gleich weiter mit Überpolitik auf Spotify, Apple Podcast, Google Podcast und überall sonst, wo ihr Podcasts hört. Abonniert uns am besten, dann verpasst ihr auch keine Folge und abonniert auch unseren neuen Instagram-Kanal. So sehr Alfred über Social Media schimpfen mag, findet ihr dort unsere Folgen in ganz vielen anderen Formaten, was euch vielleicht ja auch taugt. Bis nächste Woche!

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