Neue Regierung nach langwierigen Verhandlungen
Nach Monaten zäher Verhandlungen ist in Österreich eine neue Regierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS – die sogenannte “Zuckerlkoalition” – ins Amt gekommen. Für viele Bürger:innen bedeutet dies ein Aufatmen, denn “Volkskanzler Kickl” konnte abgewendet werden. Die Vorstellung eines „blauen Kanzlers“ hat politisch hohe Wellen geschlagen und löste heftige Diskussionen aus. Während ein Teil der Bevölkerung diesen Regierungswechsel als Befreiung empfindet, stellt sich die Frage, ob sich damit überhaupt etwas ändert, und wenn ja, was genau?
Der lange und steinige Weg zur Koalition
Der Prozess, der zur Regierungsbildung führte, war von intensiven Machtspielen und strategischen Kalkulationen geprägt. Entgegen vieler Darstellungen etablierter Medien war Kickl dabei nicht einfach unwillig, Kompromisse einzugehen. Er verfolgte sehr klare Ziele und stellte ganz bewusst spezifische Bedingungen für eine Koalition mit der ÖVP. Sein Ziel war es, über das Innenministerium maßgeblichen Einfluss auf den Staat zu erlangen und die FPÖ dort nachhaltig zu verankern.
W für Kickl
Die Verhandlungen boten prinzipiell zwei mögliche Szenarien: Im ersten hätte Kickl von der ÖVP viele seiner Forderungen erfüllt bekommen – was die FPÖ als starke Macht sowohl in der Regierung als auch in staatlichen Institutionen etabliert hätte. Das Innenministerium hätte ihm dabei als zentrales Instrument gedient, den Staat nach eigenen Vorstellungen umzubauen. Im zweiten Szenario – so kam es letztlich – stellte die ÖVP klar, dass sie ihm diesen Einfluss nicht geben wollte. Kickl entschied sich, in der Opposition zu bleiben, anstatt einen für ihn schlechten Kompromiss einzugehen. Warum konnte er so pokern? Weil er die ÖVP unter Zugzwang setzte, und er alle Asse im Ärmel hatte. Entweder die ÖVP macht sofort was er will: Der FPÖ das Innenministerium überlassen. Oder die ÖVP kündigt die Verhandlungen auf, und Kickl kann ihnen das sofort als stärkste Partei in der Oppositionsrolle im Parlament um die Ohren hauen. Wohlwissend, dass er für ein paar mehr Jahre Opposition bestens gerüstet ist, und die FPÖ vermutlich noch stärker daraus hervorgehen wird.
Das Regierungsprogramm: Blau-schwarzes Sparpaket in neuem Gewand
Das Herzstück des Koalitionsvertrags ist ein umfangreiches Sparpaket, das die Stabilisierung des Staatshaushalts innerhalb der EU-Fiskalregeln zum Ziel hat. Konkret sollen Einsparungen in Höhe von 6,4 Milliarden Euro im Jahr 2025 und 8,7 Milliarden Euro im Jahr 2026 realisiert werden. Im ersten Jahr soll das Sparpaket zu rund 5 Milliarden Euro über Ausgabenkürzungen und zu 1,4 Milliarden Euro über Mehreinnahmen finanziert werden. Die Verteilung der Belastungen fällt jedoch alles andere als gerecht aus:
Belastung der Privathaushalte: Haushalte tragen 3,1 Milliarden Euro der geplanten Einsparungen, was fast die Hälfte des Gesamtvolumens ausmacht. Das soll durch Kürzungen im Sozialbereich erreicht werden, die insbesondere ärmere Bevölkerungsgruppen treffen. Beispielsweise sind Einsparungen bei Arbeitslosenunterstützungen und Pensionen geplant.
Belastung der Unternehmen: Unternehmen werden vergleichsweise wesentlich geringer belastet. Zwar sind Maßnahmen wie die Erhöhung der Bankenabgabe und die Einführung von Sondersteuern auf bestimmte Branchen vorgesehen, die machen aber nur einen kleineren Teil des Gesamtvolumens aus.
Konkret sollen Banken in den nächsten zwei Jahren 1 Milliarde Euro abgeben. Und das bei Gewinnen von 14 Milliarden Euro im Jahr 2023. Der Beitrag wäre also gerade mal 3,5% - Ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Ähnlich sieht es in der Energiebranche aus: Sie hat in den letzten Jahren auch enorme Gewinne erzielt. Zusammen machten die größten Energiekonzerne in Österreich im Jahr 2023 ca. 4,6 Milliarden Euro Gewinn. Im Rahmen des Regierungsprogramms soll durch die Ausweitung von Übergewinnsteuern jährlich ein Betrag von etwa 200 Millionen Euro generiert werden – Das entspricht nur 4% der erzielten Gewinne.
Einigkeit bei Migration- und Asylfragen
Neben dem Sparprogramm setzt die neue Regierung auch auf eine harte Linie eine harte Linie einerseits und Symbolpolitik andererseits in der Migrations- und Asylpolitik. Der Familiennachzug soll sofort gestoppt werden, und es wird ein verpflichtendes Integrationsprogramm eingeführt, in dem die Teilnehmer:innen in den ersten Jahren nur reduzierte Sozialleistungen erhalten. Hinzu kommt ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren.
Hauptgrund dafür ist sicher, taktisch der FPÖ weniger Platz bei dem Thema zu lassen, andererseits hat es in diesen Fragen bei Neos und SPÖ auch einen tatsächlichen Schwenk gegeben. Beim Thema Migration und Integration hat man an vielen Stellen versagt, es wurde in den letzten Jahren zu wenig Geld investiert, sowohl im Bildungsbereich als auch im Asylwesen und bei der Integration. Zu spüren bekommt das, abgesehen von den Betroffenen, vor allem Wien. Dort regiert eine Koalition aus SPÖ und NEOS, die vor vielen Problemen steht. Insofern kommt eine sehr restriktive Migrations- und Asylpolitik NEOS und SPÖ gerade doppelt gelegen, oder ist auf jeden Fall kein Hindernis für eine Koalition.
Zuckerln verteilt bei Wohnen und Bildung
Um die verschiedenen politischen Lager innerhalb der Koalition ruhigzustellen, wurden im Koalitionsvertrag diverse „Zuckerl“ verteilt. Ein Beispiel ist die Wiedereinführung der Zweckbindung der Wohnbauförderung: Die Fördermittel in Höhe von fast drei Milliarden Euro pro Jahr sollen künftig ausschließlich für den Wohnbau verwendet werden. Versprochen wurde dies allerdings bereits von der letzten Regierung - umgesetzt wurde die Maßnahme nie.
Ergänzend dazu sollen bei Altbauten, insbesondere in genossenschaftlich betriebenen Wohnungen, die Mietpreisindexierung begrenzt beziehungsweise vorübergehend ausgesetzt werden. Dadurch sollen Mieter:innen vor überproportionalen Teuerungen geschützt werden. Eine verstärkte Förderung von Genossenschaften soll zudem langfristig bezahlbaren Wohnraum sichern. Um den rapide steigenden Wohnkosten, vor allem außerhalb von Ballungszentren wie Wien, entgegenzuwirken, ist diese Maßnahme allerdings kaum mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Weiteres Zuckerl für die NEOS: Die geplante Einführung der mittleren Reife soll einen flexibleren, einheitlichen Bildungsabschluss schaffen – ein Schritt, der mit dem Gesamtschulkonzept verbunden ist. Das ist grundsätzlich begrüßenswert, weil Gesamtschulen als integrative Modelle alle Schüler:innen unabhängig von Leistungsunterschieden zusammenführen und so einen gemeinsamen, praxisorientierten Abschluss ermöglichen, und damit auch für Kinder aus ärmeren Haushalten der Zugang zu höherer Bildung erleichtert wird. Ob das, und die ganzen weiteren, geplanten Maßnahmen dann wirklich umgesetzt werden ist mehr als fraglich. Bildungsreformen wurden schon viele geplant, viele sind schon vor der wirklichen Umsetzung gescheitert.
Mehr Überwachung und Aufrüstung
Der vielleicht brisanteste Aspekt des Regierungsprogramms: Die ÖVP hat sich dafür eingesetzt, Messengerdienste stärker zu überwachen – ein Vorhaben, das in den Koalitionsverhandlungen als „verfassungskonforme Gefährder-Überwachung“ bezeichnet wurde. Im Kern geht es um den Bundestrojaner, der als Instrument für einen umfassenden Eingriff in die digitale Privatsphäre dienen soll. Zwar wird betont, dass sich diese Maßnahme primär gegen islamistische Inhalte richtet, einmal eingeführt, können damit alle kritischen Stimmen überwacht werden - auch unsere.
Parallel dazu sieht das Programm eine deutliche Aufrüstung des Militärs vor. Während 2023 noch etwa 4 Milliarden Euro in den Verteidigungssektor flossen, soll dieser Betrag in den kommenden Jahren auf 2 % des Bruttoinlandsprodukts angehoben werden. Diese Erhöhung – die auch in Verbindung mit einem möglichen NATO-Beitritt diskutiert wird – markiert einen signifikanten Richtungswechsel in der militärischen Strategie Österreichs. Zudem soll das Land weiterhin am europäischen Luftverteidigungssystem Skyshield teilnehmen – ein Vorhaben, das vor allem von den NEOS, aber auch der ÖVP stark unterstützt wird.
Herausforderungen und Koalitionsdynamiken
Obwohl das Regierungsprogramm in seinen einzelnen Bausteinen umfassend wirkt, bleibt die Frage nach der langfristigen Stabilität der Koalition offen. Das Doppelbudget, das derzeit als Planungsrahmen dient, läuft über zwei Jahre. Es ist fraglich, ob die Koalition über diesen Zeitraum hinaus Bestand haben wird, zumal die politischen Differenzen zwischen den beteiligten Parteien immer wieder zu Reibereien führen könnten.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Rolle der FPÖ. Mit stabilen Umfragewerten von rund 34 % bleibt Kickl weiterhin relevanter und mächtiger Akteur – und inszeniert sich geschickt als Vertreter einer Wählerbasis, die vom etablierten System zurecht enttäuscht ist. Diese doppelte Rolle der FPÖ als Opposition und als “Stimme der Unzufriedenheit” birgt das Risiko, dass sich die alten Großparteien weiter in der Krise verlieren, und die FPÖ weiter dazu gewinnt.
Die Krise der Großparteien: Ursachen und Konsequenzen
Die anhaltende Krise der traditionellen Großparteien ÖVP und SPÖ ist dabei kein Zufallsprodukt, sondern Ausdruck tiefgreifender gesellschaftlicher und politischer Umwälzungen. Seit dem Zweiten Weltkrieg dominierten sie das politische System, basierend auf dem Versuch eines Interessensausgleich: Die SPÖ vertrat die Arbeiter:innenschaft, die ÖVP die Unternehmer. Diese Balance geriet ab den 1980er- und 1990er-Jahren immer weiter ins Wanken.
In dieser Zeit übernahmen beide Parteien den neoliberalen Konsens: freie Märkte, Deregulierung und Privatisierung galten als Schlüssel für wirtschaftliches Wachstum. Damit wandelten sich SPÖ und ÖVP von Massenparteien mit klarer Klassenverankerung zunehmend zu technokratischen Verwaltern. Parallel dazu verschoben sich durch den EU-Beitritt und die Globalisierung die politischen Handlungsspielräume von nationaler Ebene zugunsten internationaler Institutionen wie IWF und Weltbank.
Die Großparteien waren in dieser Dynamik Täter und Opfer zugleich: Sie reagierten auf ökonomische und politische Veränderungen in der Welt und trugen gleichzeitig aktiv am neoliberalen Umbau bei und zerstörten damit ihre eigene institutionelle Basis. Als diese Wirtschaftsordnung mit der Finanzkrise 2008 ins Wanken geriet und die soziale Ungleichheit zunahm, hatten sie keine Antworten darauf. Dies führte nicht nur zu weiterem Bedeutungsverlust, sondern auch zum zunehmenden Erstarken der FPÖ. Im Gegensatz zu Linken Kräften, die ihren kurzen, globalen Aufschwung nach 2008 nicht nachhaltig nutzen konnten, verstanden rechte Parteien wie die FPÖ sehr schnell, wie sie die Krise für ihren Machtaufbau nutzen konnten.
Lektionen von der FPÖ
Aus den strategischen Überlegungen und der Machtpolitik der FPÖ und speziell Kickl lassen sich für uns wichtige Lektionen ziehen. Zwei zentrale Aspekte stechen dabei besonders hervor:
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Aufbau von Vertrauen und einer starken Basis:
Kickl hat eindrucksvoll gezeigt, dass es nicht genügt, nur auf Anti-Establishment Rhetorik zu setzen. Langfristiger Erfolg erfordert den konsequenten Aufbau einer loyalen Basis, die auch in Krisenzeiten und gegen Angriffe hinter der eigenen politischen Linie steht. Für linke Gruppen, die auch Protestwähler:innen ansprechen, ist das eine wichtige Erkenntnis, um aus kurzfristigen Impulsen und Wahlergebnissen nachhaltig politische Macht aufzubauen
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Eigene Medien:
Kickl investiert gezielt in eigene Medienkanäle, um seine Botschaften unabhängig von der Mainstream-Berichterstattung zu verbreiten. Linke Organisationen sollten sich überlegen, wie sie eigene Kommunikationsnetze aufbauen können, um ihre Themen und Perspektiven ungehindert zu transportieren – eine Notwendigkeit in einem bürgerlich-staatlich dominierten Mediensystem.
Zwischen Kontinuität und dem Versprechen des Wandels
Das Regierungsprogramm der Zuckerlkoalition vermittelt den Eindruck einer Politik des „Weiter so“. Während einerseits der blauen Kanzler abgewendet werden konnte, zeigt sich andererseits, dass der Kern der Politik im Sparzwang und in minimalen Kompromissen liegt - egal welche der etablierten Parteien koaliert.
In den nächsten Jahren können insbesondere die einseitige Belastung der arbeitenden Bevölkerung und die Eingriffe in digitale Freiheitsrechte langfristige Konsequenzen nach sich ziehen. Gleichzeitig wird die Erhöhung der Militärausgaben und die Debatte um einen möglichen NATO-Beitritt neue politische Spannungen erzeugen.
Was tun?
Um als kommunistische Bewegung in diesen Konflikten und Krisen wieder handlungsfähiger Akteur zu sein, sollten wir uns in Zukunft möglichst unabhängig machen. Unabhängig von Staat, Markt und bürgerlichen Medien. Möglichst unabhängig sein, ist nämlich nicht nur der Grund, warum Kickl gerade so erfolgreich alle vor sich hertreibt. Es wäre auch die Grundbedingung für eine erfolgreiche kommunistische Politik, die in gesellschaftliche Konflikte eingreifen kann.
Unsere Aufgabe in den nächsten Jahren unseres Aufbaus ist es, Menschen in den verschiedensten Bereichen möglichst unabhängig von Staat und Markt entlang ihrer Interessen zu organisieren und dabei für die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft zu begeistern. Die nächsten Krisen kommen, und anstatt nur am Rand zu stehen und zuzusehen, sollten wir uns darauf vorbereiten, sie zu nutzen.
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